Urban Mining - Rohstoffgewinnung in Städten und Gebäuden

Geld in den Wänden

Was passiert mit Ziegeln, Beton und Stahlträgern, wenn ein Haus abgerissen wird? Im Idealfall entstehen neue Häuser aus den alten Rohstoffen.

Der Haufen Geröll, der am Ende eines Hausabrisses übrig bleibt, hätte vor einigen Jahren noch als Abfall gegolten. Mittlerweile sehen Architekten, Rohstoffexperten und Stadtplaner in ihm einen Schatz, aus dem sich neue Häuser bauen lassen – und aus dem künftig immer mehr Häuser entstehen müssen, denn die Rohstoffvorräte der Erde sind begrenzt. Der Report „Global Construction 2025“ schätzt, dass sich die weltweiten Ausgaben für Bauprojekte in den nächsten zehn Jahren um 70 Prozent erhöhen werden – und dann gigantische 15 Trillionen Dollar betragen sollen.

Die Idee, alte Baustoffe wieder zu nutzen, ist unter Experten als Urban Mining schon seit einigen Jahren bekannt. Doch lässt sie sich wirklich umsetzen?

Stadtplan für Rohstoffe

Aus Sicht des Ressourcenmanagements ist es interessant zu wissen, welche Rohstoffe und welche Mengen davon in der Stadt lagern. Es sind gigantische Mengen. Wer künftig auf diese Rohstoffe zugreifen will, muss wissen, wo sie liegen, sagt z.B. Fritz Kleemann in einem Artikel von green.wiwo.de vom 07.06.2015.

Kleemann arbeitet seit mehr als zwei Jahren am Christian Doppler Labor für anthropogene Ressourcen der Technischen Universität Wien. Anthropogene Ressourcen sind all jene Stoffe, die sich im menschlichen Gebrauch befinden. Die Forscher dort befassen sich mit Baumaterialien aus Gebäuden und Infrastruktur wie Straßen, Brücken und Telefonmasten –und damit auch mit Fragen, wo und in welcher Menge in Österreich Aluminium verteilt ist.

Kleemann ist zuständig für eine Fallstudie, die „Ressourcenpotenzial gebauter Infrastruktur“ sichtet. Was nichts anderes bedeutet als herauszufinden, wie groß die urbanen Minen sind. Dafür haben sich die Forscher vom Doppler Labor bisher 14 repräsentative Gebäude in Wien aus verschiedenen Perioden angesehen: Wohnhäuser, Geschäftslokale, Industriewerke.

Sie wollen genau wissen, wie gebaut wurde und welche Baustoffe die Architekten in welcher Periode verwendeten. Man kann sagen: Jeder Ziegel, jeder Meter Draht, jede Dachrinne und jedes Stück Laminatfußboden aus diesen Gebäuden landet in Kleemanns Excel-Tabelle. Am Ende wollen die Forscher hochrechnen, welche Materialien in Wiens Gebäuden verbaut sind, um sie zurückgewinnen zu können.

Erste, grobe Zahlen zu den Schätzen, die in der Stadt lagern, liefert das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft in Österreich: Durchschnittlich kommen auf einen Bewohner Wiens ungefähr 4.500 Kilogramm Eisen, 340 Kilogramm Aluminium, 200 Kilogramm Kupfer, 40 Kilogramm Zink und 2010 Kilogramm Blei.

Urban Mining gewinnt für Unternehmen und Länder immer mehr an Attraktivität. Schon ist die Rede von einem Wachstumsfaktor für die Wirtschaft.

Bis zu 15 Millionen Tonnen Stahl, eine Million Tonnen Kupfer und eine halbe Million Tonnen Aluminium wandern in der Bundesrepublik Deutschland jährlich in Kabel, Rohre und Träger. In den deutschen Gebäuden sind Metalle mit einem Schrottwert von rund 180 Milliarden Euro verbaut. Die jährlichen Abrisse setzen also Bestände mit einem beträchtlichen Wert frei.

Allein Deutschland verbaut jährlich über 550 Millionen Tonnen mineralischer Rohstoffe. Das spiegelt sich auch in der Abfallbilanz. Der Bausektor ist der mit Abstand größte Müllproduzent: Rund 52 Prozent des Mülls in Deutschland sind Bau- und Abbruchabfälle.

Das hat Folgen: Die Deponien in Deutschland sind voll mit Bauschutt. Neue zu erschließen, das ist teuer und raubt Platz.

Die letzte Ruhestätte kostet

Im Zuge ihrer Recherchen haben die Forscher aus dem Doppler Labor schnell erkannt: Aus Recyclingsicht wurde früher oft viel effizienter gebaut, weil nicht wie heute verklebte Stoffe benutzt wurden, die schwer wieder zu trennen sind.
70 Jahre nach Ende des Krieges sind wieder genug Baustoffe verfügbar. Und es gibt vor allem viele unterschiedliche.

Architekten müssen zwischen Kosten, Energieeffizienz und Nachhaltigkeit abwägen. Wer etwa eine Dämmschicht auf die Hausmauer klebt, muss zwar weniger heizen. Wird das Gebäude aber einmal abgerissen, ist es kaum noch möglich, die Dämmschicht und die darunter liegenden Ziegel voneinander zu trennen und zu recyceln.

Dass der Wert urbaner Rohstoffe steigt, erkennt man daran, dass die Handwerker für manche Materialien schlicht zu spät kommen. Kupfer findet sich in kaum einem Abbruchhaus mehr – es wird oft noch vor dem Abriss aus dem leeren Gebäude gestohlen.

Aber es bestehen weitere Faktoren, die einer höheren Recyclingquote im Weg stehen. Deutschland ist so reich an Baustoffen, dass neue Materialien oft nur wenig teurer oder gar billiger als recycelte Baustoffe sind.
Dennoch wollen Abbruchunternehmen Schutt wieder in den Rohstoffkreislauf einspeisen. Allerdings nicht, weil sich mit den Recyclingmaterialien viel Geld verdienen ließe.
Die Bauabfälle auf einer Deponie zu entsorgen, ist so teuer, dass die Wiederverwertung das Unternehmen deutlich billiger kommt. Die Deponiekosten für Baurestmasse betragen rund das Doppelte der Recyclingkosten.
Und die Kommunen verschärfen die Abnahmeregeln. So muss heute beispielweise in Nürnberg ein Kontaminationsnachweis vorgelegt werden, wenn abgebrochener Beton aus einer Tiefgarage der 80´er Jahre deponiert werden soll. Werden die strengen Grenzwerte für Öl, etc. dabei überschritten, wird zwar schnell ein Zuschlag für Sondermüll fällig, abgelagert wird der Bauschutt dennoch im normalen Deponiegelände, wie uns ein Mitarbeiter eines Bamberger Bauunternehmens kürzlich berichtete. 

Auf diese Weise refinanzieren die Kommunen den Deponie- und Recyclingaufwand und begrenzen den exorbitant zunehmenden Flächenbedarf für neue Deponien, wenn die alten voll sind.

Da kommt der Trend wie gerufen, dass gerade in Großstädten immer häufiger auf recycelte Materialien zurückgegriffen werde, vor allem beim Straßenbau. Angesichts wachsender Städte wird Urban Mining aus Gebäuden noch an Bedeutung gewinnen.

Schon werden Begriffe wie „Rohstoffausweis für Gebäude“, analog einem Energieausweis, verwendet, der festhalten soll, wie viel von welchem Stoff im Gebäude verwendet wurde. Die Städte sind die Rohstoff-Minen der Zukunft.

Nach Angaben der Vereinten Nationen (VN) geht über die Hälfte des Rohstoffverbrauchs in Europa auf das Konto der Baubranche. Aber erst jenseits von Österreich oder Deutschland wird das gewaltige Potenzial von Urban Mining erst richtig offenkundig. Länder wie Indien oder China wollen denselben Lebensstandard, der in Mitteleuropa herrscht, und benötigen dafür immer mehr Rohstoffe.

Bauen für die Ewigkeit

Die Frage, wie lange ein Wohnhaus seinen Zweck erfüllt, eröffnet in diesem Bereich neue Dimensionen. Glaubten Architekten und Bauträger bisher, dass sie Häuser für die Ewigkeit bauen, findet immer mehr ein Umdenken statt.

„Man muss das Ganze vom Ende her betrachten“, meint Annette Hillebrandt von der Bergischen Universität Wuppertal. Die Architektin mit Büro in Köln erforscht seit Jahren, wie man mit Blick auf Urban Mining sinnvoll designen und bauen kann.

Im Mittelpunkt steht eine „recyclinggerechte Planung für ein Bauen in geschlossenen Stoffkreisläufen“. Oder anders formuliert: Wie lässt sich heute so planen, dass Gebäude später effizient, schnell und restlos in wiederverwendbare Bestandteile und Materialien übergehen?

Eine entscheidende Rolle nimmt die Industrie ein: Während Gebäude Anfang des vergangenen Jahrhunderts noch aus einer überschaubaren Anzahl meist regionaler, sortenreiner Materialien errichtet wurden, haben mittlerweile synthetische Materialien und Verbundstoffe an Bedeutung gewonnen.

 „Diese Materialien lassen sich oft nicht wiederverwerten, nicht einmal Downcycling ist möglich“, sagt Hillebrandt. Vor allem die in der Wärmedämmung eingesetzten verklebten Verbundsysteme würden in absehbarer Zukunft zu einem Sondermüllproblem heranwachsen.

Daher spricht sich Hillebrandt für das Verursacherprinzip aus: „Der Hersteller soll die Verantwortung dafür tragen, dass es für seine Materialien eine Recyclingstrategie gibt. Es gibt vorbildliche Unternehmen in den Niederlanden, die das schon umsetzen, indem sie ihre Produkte auf Zeit vermieten und auch wieder zurücknehmen.“

Ein weiteres Modell wäre eine Art Rückbau-Hypothek. Diese müsste bereits vor dem Bau hinterlegt werden und könnte sicherstellen, dass Rückbaukosten nicht beim Steuerzahler landeten. Sollte beim Abriss des Gebäudes eine effektive und kostengünstigere Rückführung entstehen als beim Bau erwartet, erhielten die Bauherren das übrige Geld zurück.

Das sei laut Hillebrandt auch deshalb wichtig, weil die Baubranche zunehmend als Investitionssektor wahrgenommen werde. Die Investoren wollten aber in kurzer Zeit viel Gewinn machen. Dies sei nur möglich, wenn billigere Materialien verbaut würden. Die Investition solle sich möglichst schnell amortisieren, was danach passiert, interessiere die Anleger nicht.

Eine Frage des Geldes

Als Mitglied einer Expertengruppe der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, DGNB, entwickelt Hillebrandt Kriterien, um die „Rückbau- und Recyclingfreundlichkeit“ von Gebäuden bewerten zu können.

Denn obwohl die Mineralbaustoff-Branche sich damit brüstet, 90 Prozent des anfallenden Baumülls wiederzuverwerten, sieht Hillebrandt Mängel: „Der Anteil ist nur möglich, wenn man Downcycling betreibt. Ein neuer Ziegelstein kann aus Qualitätsgründen nur aus maximal 10 bis 20 Prozent recyceltem Ziegelmehl bestehen.“

Die übrigen Alt-Ziegel könne man nur noch als Wegesplitt verwenden. „Das ist eine Abwertung“, konstatiert Hillebrandt. In Zukunft sollten Materialien auf derselben Qualitätsstufe einsetzbar sein, also wieder in Gebäuden genutzt werden können.

Auch Hillebrandt kritisiert den Einsatz der verklebten Produkte, die sich nicht recyceln lassen. „Konstruktionen, die man stecken oder zusammenschrauben kann, sollten den Vorzug bekommen“, sagt sie.
Ein Positivbeispiel ist etwa der Holzmassivbau, wie er in der Region Vorarlberg zu finden ist. Diese Bauweise setzt nicht nur auf sortenreine Materialien, sie sind auch ökologisch abbaubar. Eine weitere Alternative ist der Skelettbau, bei dem vor allem mit Stahl und Glas gebaut wird. Ein solcher Bau ist das Rohstofflager der Zukunft, da diese Materialien voraussichtlich sogar noch an Wert gewinnen.
Klar ist: Für einen nachhaltigen Rohstoffkreislauf muss man schon während der Gebäudeplanung den Abriss einkalkulieren. Architekten, Bauträger und Industrie werden also zusammenarbeiten müssen, damit Urban Mining von einer Idee zur Realität wird.

Große Teile dieses Textes entstanden im Rahmen des Journalisten-Stipendiums „Nachhaltige Wirtschaft“ von „WiWo Green“ und dem „Forum Qualitätsjournalismus (FQJ)“ und ist veröffentlicht seit 07.06.2015 unter green.wiwo.de; geschrieben haben ihn Mara Simperler, Harald Triebnig, Lukas Wagner 

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Jun 11 2015
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